Entgegen anderen Behauptungen gibt es Freizeitaktivitäten, bei denen es auf die Größe ankommt. Auf Kreuzfahrten zum Beispiel. Kleine Schiffe mit möglichst wenigen Gästen sind entspannter; je überschaubarer das Gefährt, desto weniger Massentamtam.

Die Dimensionen spielen aber auch eine Rolle, wenn es um einen Lieblingszeitvertreib von Urlaubern geht: das Schwimmen. Logisch, in einer Badewanne ist schlecht kraulen, und selbst ein Pool kann, falls zu voll oder von übermütigem Jungvolk besetzt, dafür ungeeignet sein. Der erfahrene Badende weiß, dass man dafür Platz braucht. Und wo wäre eine Schwimmrunde einladender als mitten im Ozean?

Allerdings ist es für diejenigen, die nicht zufällig eine eigene hochseetaugliche Yacht besitzen, gar nicht so einfach, die Mitte des Meers zu erreichen, um dort auf Wellenkämmen zu kraulen. Moderne Kreuzfahrtschiffe sind schwimmende Urlaubsanstalten im Kleinstadtformat mit computerberechnetem Fahrplan, heute hier, morgen dort, und bitte immer schön pünktlich sein.

Kurz mal auf offener See die Maschinen stoppen für den Passagier in Kabine 1427 mit schrägen Sonderwünschen, der im Ozean Köpfer üben will? Eher nicht. Nur auf kleinen und kleinsten Schiffen geht so etwas – sofern Wind, Wellen und der gute Wille des Kapitäns mitspielen.

Im Sommer in Europa, im Winter in der Karibik

Bjarne Smorawski, ein 70-jähriger Norweger mit polnischen Wurzeln, ist so ein toleranter Typ: rotes Allwettergesicht, graue Haare, untersetzte Figur, eher knuffiger Onkel als kerniger Seebär. Smorawski ist Chef auf der „Seadream I“, einer Großyacht von 105 Meter Länge mit sechs Decks, Baujahr 84. Ein kleines, feines Gefährt, 56 Gästekabinen nur.

Smorawski befördert bei Vollbelegung also höchstens 112 Passagiere – etwa so viele, wie auf Kreuzfahrtschiffen von Carnival- oder Costa-Proportionen morgens um sieben allein schon am Hauptpool abhängen. Und wenn das Wetter es zulässt, ermöglicht Smorawski seinen Gästen tatsächlich ein Bad mitten im Ozean. Das ist allerdings nur auf jeder dritten Atlantikquerung möglich.

Der Zyklus der Jahreszeiten auf der nördlichen Erdhalbkugel legt Kreuzfahrtschiffen wie den „Seadream“-Yachten (es gibt zwei von der Sorte) das Kontinentalpendeln im Sommer-Winter-Rhythmus nahe. In den Sommermonaten kreuzt man in Europa, bevorzugt im Mittelmeer, im Winter geht es in die Karibik mit ihren zahllosen Inseln.

Zwölf Tage auf See – mit einem Stopp auf Madeira

Jeweils gegen Ende der Saison muss also die Seite gewechselt werden: einmal quer über den Atlantik, von West nach Ost im April, von Ost nach West im Oktober. Diese Crossings gelten den meisten Kreuzfahrtfans als langweiliges Seniorenprogramm. Meer, Meer und noch mehr Meer, Ödnis fürs Auge, Wüste in nass. Sie sind deshalb besonders niedrigpreisig und eine Saure-Gurken-Zeit für Reedereien – also ideal für Exzentriker mit einem Faible für saure Gurken.

Solche Leute gibt es. In unserem Fall 45 Passagiere, die sich auf dem Calypso-und-Rum-Eiland Barbados einfinden, der östlichsten Karibikinsel und somit geografisch das ideale Sprungbrett für eine Atlantikquerung. Das ist ein so kleines Häufchen, dass man zwangsläufig jeden Einzelnen kennenlernen und nett behandeln muss, denn auf einer Yacht fern aller Küsten kann man sich schlecht aus dem Weg gehen.

Die Crew wiederum, 95 Mitglieder umfasst sie insgesamt, genießt während der halbjährlichen Crossings die Leere an Bord. „Gehen Sie davon aus, dass wir Ihnen auf dieser Fahrt recht guten Service bieten können“, sagt Captain Smorawski trocken. Sein Fahrplan sieht vor, dass die „Seadream“ in zwölf Tagen von Barbados nach Lissabon stampft und dabei einen einzigen Zwischenstopp einlegt, sieben Stunden an Land in Funchal, Madeira, um sich die Beine zu vertreten.

Am ersten Morgen, Barbados ist hinterm Horizont versunken, sichten die Passagiere noch Fliegende Fische, aufgescheucht vom Dieselmotor, und jagende Maskentölpel. Dann wird es einsam und still um das Schiff, das eine Woche lang einer Art freiwilligen Isolierstation gleicht – der Welt entrückt; kein Land, kein Schiff, kein Flugzeug, kein Vogel, nicht einmal eine verirrte Möwe ist zu sehen.

Internet hat man auch nicht. Zwar gibt es eine Verbindung per Satellit, aber die kostet abschreckende 35 Dollar pro Tag und ist so langsam, dass sie den Urlauberkopf mürbe macht. Es ist also Digital Detox angesagt.

Die wenigen Gäste auf der Yacht lernen sich schnell kennen

Auf dem Radarschirm, der ein ziemlich großes Stück Ozean abdeckt, sind wir schließlich allein. Ein ungewohntes Gefühl stellt sich ein, als seien wir aus Zeit und Raum gefallen – oben der Himmel, azur-, unten das Meer, atlantikblau.

Bald verschwinden die Wochentage. Ist heute Montag oder Dienstag? Keine Ahnung. Egal. Stunden sind nichts; die Zeit beginnt zu fließen. Bärte sprießen, alle bekommen einen gesunden Teint, die Haut schmeckt salzig.

Fad ist das keineswegs, denn die Gäste an Bord gehören in unserem Fall zu der Gruppe der Golden Ager. Man ist reif, reiseerfahren und reich.

Die Klischeevorstellung, wonach die Kreuzfahrerei ein Hobby für alte Leute sei – hier stimmt sie noch. Das Durchschnittsalter liegt weit über 60 Jahre. Fast die Hälfte der Gäste sind Briten, 22 insgesamt. Zehn kommen aus den USA und sechs aus Bremerhaven, alle mit norddeutsch s-pitzem S-tein in der S-timme.

Belgien, Norwegen und Schweden sind paarweise vertreten, und aus irgendeinem Zufall heißt ein Großteil der Männer John, was die Kontaktpflege einfacher macht. Vier Passagiere schreiben gerade Bücher – passend, denn der Mikrokosmos an Bord ist für Charakterstudien ideal.

Die Kreuzfahrt ist wie eine Klassenfahrt mit Kaviar

Alabama-John etwa, ein Martinis trinkender Holzunternehmer, erzählt detailreiche Schwänke aus seinem langen Liebesleben und besteht trotz seiner 91 Jahre selbst bei starkem Wellengang darauf, ohne Hilfe oder Fahrstuhl aus seiner Kabine nach oben zu marschieren. Da sind eine britische Ex-Stewardess, inzwischen laut Visitenkarte beruflich als „Pferdeflüsterin“ unterwegs, und ihr launiger Ex, ein jovialer, ständig Deutschenwitze reißender Jumbojet-Pilot in Rente.

Die Belgierin, figürlich ein Barockmodell, verbringt den lieben langen Tag stickend an Deck und schmaucht abends an der Bar die fettesten Zigarren. Die Atmosphäre erinnert latent an Klassenfahrt, nur dass der schippernden Schicksalsgemeinschaft ständig Kaviar und Langustenhäppchen gereicht werden und der Champagner schon vor dem Frühstück in Strömen zu fließen beginnt.

Wie überall gibt es auch mitten im Meer eine gesellschaftliche Dynamik, ein Oben und Unten. Die Elite, das sind die vom „Club Seadream“, die treuesten Kunden der Reederei, unser Yachtadel.

29 Passagiere, knapp zwei Drittel, sind Wiederholungstäter. Sie haben zusammen bereits 6253 Nächte an Bord der „Seadream“ verbracht, im Schnitt also 216 Nächte pro Kreuzfahrt-Veteran. Fast alle buchen die großen Überfahrten zwischen Karibik und Europa immer wieder – und immer wieder gern.

Fiona und Gordon aus Sussex, beide um die 50, haben inzwischen mehr als 600 Seenächte auf dem Lebenskonto. „In unserem Zirkel haben alle ein Haus in Frankreich“, erklärt Fiona. Sie und ihr Mann hätten schlicht keine Lust mehr auf ihre Villa in der Dordogne gehabt – die Bewirtschaftung, die vielen Gäste, „Sie wissen schon…“ – sie nutzen lieber die Yacht als Feriendomizil.

„Wir wollen unsere Ruhe, nicht ständig Landausflüge“

Da sind Elizabeth und John, die mehr als 20 Überfahrten hinter sich haben und irgendwann aufgehört haben mitzuzählen. Juliane und Richard aus London, in die teuerste Kabine an Bord gebucht, machen Atlantiküberfahrt Nummer 14.

Uneingeweihte spekulieren nun vielleicht, dass das auf Dauer eine Spur ermüdend sein könnte: immer wieder jenseits der Reling nur der Horizont und nirgends ein Hafen? Aber das ist es genau, was den Ozeanquerern Erholung bringt.

„Wir wollen unsere Ruhe und nicht ständig Landausflüge machen“, sagt Hedda Spitzkowsky aus Bremerhaven, „nur kein Programm“. Ihr Mann Manfred hat nicht im Geringsten vor, in Funchal an Land zu gehen – genauso wenig wie Alabama-John und der Ehepartner der zigarreschmauchenden Stickerin. Funchal? Been there, done that.

Man trödelt kultiviert von einem Tag in den nächsten auf hoher See. Frühstück, Lunch, Dinner und Zwischendurchhäppchen im Seewind. Ein bisschen Walking an Deck, um Kalorien loszuwerden. Lesen. Eine Massage im Spa, etwas Sport im Fitnessraum, eine Viertelstunde Abschlagen am Golfsimulator, weiterlesen. Eine Dame brät von morgens bis abends auf dem Sonnendeck und sieht auch so aus. Erwachsenenmalbücher gibt es auch an Bord, einige werden genutzt.

Zwischendurch gibt es lebensbejahende Vorträge von Dr. Khalid Sheikh, einem amerikanischen Gastredner, für ältere Semester mit Kreislauf: „Wie Ihr Herz glücklich bleibt“. „Herzkrankheiten: Prävention und Heilung“. „Mars und Venus: Die einzigartigen Aspekte von Herzerkrankungen bei Männern und Frauen“.

Die Vorträge sind gut besucht, und es ist beruhigend, dass Doktor Sheikh offenbar weiß, was mitten im Meer, Tausende Kilometer von der nächsten Klinik entfernt, zu tun ist, wenn sich einer plötzlich an die Brust fasst.

Angst vor hungrigen Tiefseemonstern

Dann plötzlich: Aufregung mitten im Atlantik! Kapitän Smorawski erklärt, dass der Seegang ungewöhnlich ruhig sei – man werde gleich die Maschinen anhalten und vom ausklappbaren Steg am Heck der Yacht aus schwimmen gehen.

„Das Problem hier in der Gegend sind die Haie“, fügt er nachdenklich hinzu, „wir werden einen Ausguck abstellen müssen.“ Der Jumbo-Jet-Pilot ruft launig: „Ich werde Fotos machen, wenn der Hai sie frisst!“ Allgemeines Schockschweigen. Dann ein Augenzwinkern: Der Captain machte Späßchen, Haie gibt es hier nicht.

Also wird ein Rettungsboot hinabgelassen, das eine kleine blau-gelbe Trampolininsel und ein langes Schwimmseil zum Festhalten ausbringt – Vorsichtsmaßnahmen für den Fall, dass Schwimmer vom Schiff abtreiben. Es gibt zwar kaum Wellengang, aber ordentlich Strömung, und der Atlantische Ozean ist bekanntlich groß.

Psychologisch ist das Planschen im größten Pool der Welt allerdings nicht ganz ohne, denn zwangsläufig ist Steven Spielberg mit von der Partie. Wer in seiner Kindheit seinem „Weißen Hai“ begegnete, wird die schrecklichen Filmbilder mit den durchgekauten Leibern und abgerissenen Beinen nie wieder los, und woher weiß der Kapitän eigentlich so genau, dass hier wirklich keine Haie lauern?

Unter uns ist der Atlantik ungefähr 3700 Meter tief, und wer weiß, was da unten alles so lebt und gerade Hunger hat? Im Zweifel das Monster der Tiefsee. „Ohne mich – das macht mir Todesangst“, sagt Sara, eine 43-jährige Ex-Lehrerin aus der Nähe von Liverpool, die mit ihrer Mutter einmal im Jahr den Atlantik abfährt, immer von West nach Ost.

„Mich kriegt ihr da nicht rein“, flüstert die Pferdeversteherin, „man weiß nicht, was da drin ist.“ Aus dem amerikanischen Lager ist vor allem zu hören, dass „das Wasser viel zu kalt ist“. Was nicht so recht überzeugt, denn es hat 22 Grad, so wie die Ostsee im Hochsommer.

Mutige lassen sich vom Schiff in den Atlantik plumpsen

Mutig ist, wer Angst hat und es trotzdem wagt: Also los und rein ins Big Blue! Als Erstes sind die Norwegerin und ein John im Wasser. Sie werden, was zur Entspannung der anderen beiträgt, nicht unverzüglich von einem Seedrachen verschlungen. Insgesamt 14 von uns wagen schließlich den Sprung ins Nass, zehn Passagiere, vier Crewmitglieder.

Selbst Sara lässt sich trotz Todesangst schließlich mit Schnorchel und Tauchmaske in den Ozean plumpsen – allerdings erst nach einem angstbefreienden Erfrischungsgetränk mit viel Wodka. Das Meereswasser ist völlig klar und sauber, man sieht jeden kleinen Zeh. Nichts beißt.

Eine halbe Stunde später, alle haben wunderbarerweise überlebt, gibt es an Deck Blinis mit Kaviar, den obligatorischen Champagner – und ein hochoffizielles Zertifikat vom Captain, mit dem man den Zuhausegebliebenen beweisen kann, dass man mitten im Meer schwimmen war und eine coole Socke ist.

Da können Seepferdchen und andere Schwimmabzeichen einpacken. Und wie wir da stehen, erleichtert nach dem Adrenalinstoß, die Haare noch nass, Salz auf unserer Haut, gleitet 200 Meter entfernt doch tatsächlich der Buckel eines Wals durch die See, auf und nieder, immer wieder.

Der Captain grinst wissend, und ein wohliges Schaudern fährt uns durch die Glieder.

Tipps und Informationen

Reisezeiten: Die beiden „Seadream“-Schiffe fahren ab Oktober von Europa in die Karibik und ab April in die umgekehrte Richtung. Ob während der Atlantiküberfahrt im offenen Meer geschwommen werden kann, hängt vom Wetter ab, bei den Crossings mit der Reederei Seadream Yacht Club ist dies ungefähr auf jeder dritten Atlantiküberquerung möglich. Geplante Transatlantikkreuzfahrten: 27. Oktober bis 9. November 2018 (von Málaga/Spanien nach Barbados), 18. November bis 1. Dezember 2018 (von Lissabon/Portugal nach St. Martin), 14. bis 27. April 2019 (von Puerto Rico nach Málaga), 22. April bis 4. Mai 2019 (von Barbados nach Lissabon); 13 Nächte all-inclusive kosten ab 2287 Euro pro Person (seadream.com; dreamlines.de).

Atlantiküberquerungen mit großen Kreuzfahrtschiffen (ohne Möglichkeit zum Schwimm-Stopp auf dem offenem Meer) bietet zum Beispiel die Reederei Aida an, beispielsweise 18 Tage von Jamaika nach Hamburg inklusive Flug, Kosten mit Frühbucher-Rabatt ab 1420 Euro pro Person (aida.de).

Eine außergewöhnliche Erfahrung ist eine Transatlantikkreuzfahrt auf einem Luxus-Großsegler, zum Beispiel mit der Reederei Sea Cloud Cruises, beispielsweise 17 Nächte von Las Palmas nach Santo Domingo ab 7395 Euro pro Person (seacloud.com).

Veranstalter: Der Luxus-Anbieter Tom’s Premium Selection stellt individuelle Reisen zusammen, darunter auch Transatlantikkreuzfahrten mit den „Seadream“-Schiffen inklusive An- und Abreise, beispielsweise ein 13-tägiges Crossing von Portugal nach Barbados, Paketpreise auf Anfrage (tps-reisen.com). Über die Plattform e-hoi lassen sich unter anderem Atlantikquerungen mit TUI Cruises buchen, zum Beispiel auf der neuen „Mein Schiff 2“ von Barbados nach Mallorca, ab 2249 Euro pro Person inklusive Flug (e-hoi.de).

Einige Veranstalter bieten auch Kombinationen von Kreuzfahrt und Karibik-Badeurlaub an, zum Beispiel mit Aufenthalt im „Sandals Barbados“ (sandals.de) oder im „Hilton Barbados Resort“ (hiltonbarbadosresort.com).

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von SeaDream, TPS Reisen und Sandals Resorts. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.

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